Mrz 102019
 

Die letzten Male ist es mir immer schwer gefallen ein Land zu verlassen. Zwar habe ich mich immer auf das nächste, neue Land gefreut, aber gleichzeitig war da dann auch immer eine Wehmut.
Dieses Mal ist das anders. Zum einen waren wir lange genug in Indien, zum anderen ist Pakistan kein „neues“ Land.
Es wird uns langsam bewusst, dass sich unsere Reise dem Ende nähert, wir haben zwar noch fast 3 Monate Zeit, aber trotzdem beginnt hier unsere Rückreise. Die letzten Tage in Indien waren außerdem nicht ganz so schön. Das gewohnt gute und warme Wetter aus Goa haben wir schon lange hinter uns gelassen. Die Unterkünfte werden immer schmuddeliger und meistens verwenden wir unsere eigenen Schlafsäcke, die zum einen sauberer und zum anderen wärmer sind. Es ist nämlich auch noch empfindlich kalt geworden und Heizungen sind hier unbekannt. Wir sind ja schon froh, wenn wir hin und wieder warmes Wasser für eine Dusche haben – was dann bei eisigen Badezimmer-Temperaturen trotzdem jedes mal Überwindung kostet. Der Verkehr war seit der Grenze zwischen Rajasthan und Punjab auch nicht mehr ganz so spaßig, da einfach zu viele LKW und die Autofahrer wie Calwer unterwegs waren.
In Pakistan erwartet uns diesmal nicht der imposante Norden, sondern der Transit durch Belutschistan, wo nur mit bewaffneten Eskorten gefahren werden kann. Kurzum, es geht vom Regen in die Traufe.
Wenigstens in Lahore haben wir diesmal hoffentlich eine bessere Unterkunft als beim letzten Mal.
Vor einem halben Jahr haben wir im Norden Pakistans zwei hiesige Motorradfahrer getroffen, die uns zu sich nach Hause eingeladen haben, was bei unserem ersten Aufenthalt in Lahore leider nicht geklappt hatte.

Aber erstmal müssen wir über die Grenze in Wagah. Der Indische Teil ist diesmal etwas schneller erledigt dafür ist heute die pakistanische Kontrolle penibler und wir sollen einen Haufen Fragen zu unserer geplanten Route und unserer nächsten Unterkunft beantworten. Da wir vermeiden wollen, bereits jetzt eine Eskorte aufgebrummt zu bekommen, reden wir uns beinahe um Kopf und Kragen. „Wissen wir noch nicht so recht“, „vielleicht erstmal Richtunk Karakorum“. Als mir auf die Frage nach unserer Adresse dann kein Hotel einfällt und ich sage „bei einem Freund“ muss ich dann auch noch die Whatsapp Nummer und Adresse unseres Gastgebers herausrücken. Naja – hoffentlich bekommt der keinen Ärger, aber warum sollte er. Pakistan startet ja eigentlich gerade eine Tourismus-Offensive und hat beschlossen, die Einreise- und Visabestimmungen zu lockern.
Wir brauchen jedenfalls viel länger als geplant und können unseren Gastgeber nicht mal von unserer Verspätung unterrichten, da wir dazu erstmal unsere pakistanische SIM-Karte wieder aufladen müssten. Dank seiner Wegbeschreibung und mit unserem üblichen Glück (diesmal nicht ironisch gemeint) flutschen wir regelrecht durch den Verkehr ans andere Ende der Stadt und haben schon ein schlechtes Gewissen, da wir so spät dran sind und es schon auf den Abend zugeht. Als wir dann an der Zieladresse einfach mal auf alle Klingeln drücken und den ersten, der den Kopf herausstreckt, nach Atif fragen, dauert es noch eine Weile. Unser Gastgeber hat noch geschlafen und sein Bruder, der mit seiner Familie im ersten Stock wohnt, musste ihn erst aufwecken. Atif wohnt noch bei seinen Eltern im Erdgeschoss und hat zum Leidwesen seiner Mutter noch keine Frau, sondern verbringt seine Zeit lieber mit Motorradfahren und vor allem derzeit mit viel „nichts tun“ und das zudem noch vorwiegend nachts. Tagsüber wird dann geschlafen und so kommen wir gegen 5 Uhr dann noch zu einem 2. Frühstück. Hauptsache was zu essen. Wie wir erfahren hat Atif seinen Job hingeschmissen und „arbeitet“ jetzt als Farmer und baut Obst und Gemüse an. Daher hat er auch gerade nichts zu tun, da ja Winter ist. Für uns räumt er erstmal sein Zimmer und zieht zu seiner Mutter ins Bett, was aber nur ein kleines Problem ist, da die beiden eh nahezu zeitversetzt schlafen. Der Kerl lebt einfach in der falschen Zeitzone! Da es auch in Lahore unverschämt kalt ist, brennt beinahe rund um die Uhr ein kleiner Gaskocher, um das Wohnzimmer zu heizen. Da das scheinbar mehrere Leute machen, reicht der Gasdruck tagsüber kaum noch zum Kochen, so dass dafür auf einen Camping Kocher ausgewichen wird. Unschöner Nebeneffekt: der Durchlauferhitzer macht kein warmes Dusch-Wasser. Angeblich höchstens früh morgens, aber 6 oder max. 7 Uhr ist uns definitiv zu früh!

Von Atif haben wir jedenfalls die nächsten Tage nicht allzu viel, da er erst richtig wach wird, wenn wir schon längst wieder müde sind und so gehen wir meist abends nur kurz gemeinsam was essen oder einen Kaffee trinken.
Da das Wetter kalt und regnerisch ist, verbringen wir mal wieder die meiste Zeit in unseren Schlafsäcken im Bett. Die Klimaanlage haben wir zwar auf 28° und heizen gestellt, aber so richtig warm wird es in unserem zugigen Zimmer trotzdem nicht. Die geplanten Besichtigungen schieben wir jedenfalls immer weiter vor uns her und aus den ein, zwei Tagen wird so fast eine Woche und Atif meint immer nur grinsend „That’s Lahore“.
Das ein oder andere Mal überwinden wir uns dann doch noch, laufen durch die schmalen Altstadtgassen zur Moschee und einmal drum rum, bis wir nach einer halben Stunde irgendwann tatsächlich den Eingang finden. Wär doch mal ne Idee, auf Stadtplänen die Eingänge zu Sehenswürdigkeiten einzuzeichnen. Google maps lag jedenfalls 2 km daneben. Die Schuhe auszuziehen fällt uns diesmal nicht so leicht, vor allem, da wir sie bereits vor dem großen Innenhof deponieren müssen. Etwas überrascht stellen wir dann fest, dass die Einheimischen da besser ausgerüstet sind und „Pantoffeln“ scheinbar nicht als „Schuhe“ gelten.

Am nächsten Tag wollen wir dann doch noch zur skurril – grotesken Grenz-Schließungs-Zeremonie an der Wagah Border, allerdings verkalkulieren wir uns mit der Zeit. Im Winter fängt das Spektakel eine Stunde eher an und so kommen wir erst an, als das Theater schon im vollen Gange ist. Ein Platzanweiser will uns noch abzocken und ein teures Ticket für den VIP Bereich andrehen, aber wir wollen eh lieber zwischen den Einheimischen auf der Tribüne stehen.

So richtig überzeugt hat mich Lahore nicht und als der Wetterbericht Besserung verspricht, machen wir uns endlich auf den Weg in den Süden, nach Multan. Dort haben wir, auf einen Tipp von Panny hin, Muhammad Iqbal Ghangla, einen bekannten pakistanischen Motorradfahrer kontaktiert. Dieser hat jahrelang zig Motorradfahrer und Overlander bei sich übernachten lassen, bis er Ärger mit der Polizei bekam und das jetzt nicht mehr machen soll. Aber falls wir es schaffen ohne Eskorte nach Multan zu kommen, könnten wir bei ihm unterkommen. Entgegenkommende Motorradfahrer hatten uns erst vor Kurzem berichtet, dass sie 7 Tage lang, von der iranischen Grenze bis nach Lahore an die indische Grenze, eskortiert wurden und sich nicht frei bewegen konnten. Für die Gegenrichtung hoffen wir allerdings, dass wir die ersten 3-4 Tage bis zur Provinzgrenze nach Belutschistan ohne Begleitschutz auskommen.
Wir haben mal wieder Glück, kommen gut durch und stehen gegen Abend an Hamids Koordinaten, allerdings sind diese in einer kleinen Seitengasse mit viel Mauer und wenig Türen. Während ich versuche ihn zu kontaktieren, muss Suse neugierigen Passanten Rede und Antwort stehen. Erst als ich Iqbal ein paar Umgebungsfotos sende, schickt er uns einen Mofafahrer, der uns einmal ums Eck zur Eingangstür bringt. Selber ist er noch nicht zu Hause, aber seine Mutter lässt uns schonmal das Gästezimmer herrichten und versorgt uns mit Tee und Keksen.
Zwischendurch schaut dann auch tatsächlich noch der Hausherr vorbei, er hat heute viel zu tun, da morgen eine Automesse stattfindet, er dort einen Stand hat und noch einiges dafür organisieren muss. Das Angebot, ihn bei seinen „Geschäftstreffen“ zu begleiten, lehnen wir ab und so lässt er uns eine Pizza kommen. Als wir gerade satt und müde sind, bekommen wir dann noch Besuch von seinen Kindern, die sich ausführlich von uns bespaßen lassen. Als sie uns dann irgendwann alleine lassen und ich Whatsapp und Facebook durchstöbere, merken wir, dass unser Gastgeber heute Geburtstag hat – na Bravo, das haben wir ja schön hingekriegt.

Am nächsten Morgen können wir dann dafür auch nicht so einfach losfahren wie gedacht. Wir hatten am Abend noch vereinbart, dass wir mit auf die Autoshow kommen, ihm aber auch gesagt, dass wir spätestens um 11 losfahren müssen. Wir wachen spät auf und denken schon wir hätten verschlafen, aber einige Zeit später entdecken wir dann Iqbal, der auch gerade erst aufgestanden ist. Vor dem Frühstück zeigt er uns erst noch sein „Anwesen“ und seinen Fuhrpark und bis wir dann zur Autoshow starten ist es deutlich später als uns lieb ist. Ablehnen können wir aber auch schlecht und so machen wir uns halt auf den Weg. „Ganz nah“ und „Gleich ums Eck“ bedeutet offensichtlich in Pakistan „Am anderen Ende der Stadt“ und „wir haben es eilig“ wird mit „natürlich können wir auch noch ein paar Zwischenstops einlegen“ interpretiert.


Auf der Messe sind wir dann die Attraktion und irgendwann wird es den Securitys zu bunt, sie erlauben den Besuchern keine weiteren Selfies mehr mit uns und bauen eine Absperrung um unseren Stand auf. Hier treffen wir auch auf Kathleen und Stephen, die mit einem Landrover von Australien nach Deutschland unterwegs sind und die wie wir in die Ausstellung integriert wurden. Gemeinsam geben wir der lokalen Presse zahlreiche Interviews und quengeln immer mehr. Wir haben immerhin noch ein ganz schönes Kilometerpensum vor uns und  Übernachtungsmöglichkeiten gibt es auf unserer Strecke nicht allzu viele. „Nur noch eine Stunde“ – haben wir jetzt schon viel zu oft gehört und an der Aussage „Bis Quetta könnt ihr locker in zwei Tagen fahren“ zweifle ich auch stark, da die Hälfte der immerhin 850km mit Eskorte und die andere Hälfte auf einer viel befahrenen pakistanischen Landstraße zurückgelegt werden muss. „Alles kein Problem“ hören wir nur immer wieder und außerdem wären da noch zwei andere Motorradfahrer, die nach Karachi müssen, bei denen wir mitfahren könnten und die sich dann um eine Übernachtung für uns kümmern könnten.
Als diese beiden anderen Motorradfahrer dann aber auch nicht mehr bis um drei oder vier warten wollen, schaffen wir den Absprung dann doch noch irgendwann. Mittag gegessen haben wir zwar auch noch nichts, aber alleine über die Messe wollte uns die Security nicht lassen und Vegetarisches hätte es eh nichts gegeben.
Los geht es erstmal in die verkehrte Richtung. Uns fährt ein „Lotse“ voraus, der entweder keine Ahnung hat wo wir hin wollen oder uns eine Stadtrundfahrt bieten möchte. Jedenfalls verlieren wir so gut und gern nochmal eine halbe Stunde. Unsere Sorge, dass die beiden uns begleitenden Motorradfahrer zu schnell für uns fahren würden, immerhin wollen sie in 2 Tagen im 900km entfernten Karachi sein, erweist sich als unbegründet. Gerne würden wir etwas schneller fahren, aber mitgehangen, mitgefangen. Da die Tage immer noch viel zu kurz sind, zumindest der helle Anteil, beginnt es bereits kurz nach dem viel zu späten „Mittagessen“ auch schon zu dämmern. Von den vielen versprochenen Hotels ist natürlich keines zu sehen und daran können auch unsere Begleiter nichts ändern. Irgendwann ist es stockfinster und selbst wenn da am Straßenrand irgendwo Hotels gewesen wären, hätten wir sie nicht gesehen, geschweige denn die Hinweisschilder lesen können und so bleibt uns nichts anderes übrig, als Stunde um Stunde unserem Geleitschutz durch die Dunkelheit zu folgen. Wir könnten mit ihnen bei einem Freund, der ein „Guesthouse“ hat, übernachten und allzu weit wäre es nicht mehr. Doch die Zeit- und Entfernungsangaben erweisen sich einmal mehr als sehr relativ und schnell vorwärts kommen wir eh nicht mehr, da immer wieder erst LKW aus dem Weg gehupt werden müssen. Als uns dann auch noch unzählige Traktoren mit riesigen Zuckerrohranhängern auf unserer Spur entgegenkommen (ein Geisterfahrer? Hunderte!!!) wird es noch interessanter.
Beinahe angekommen geht es dann erstmal in ein Restaurant. Hunger hab ich keinen, eigentlich will ich  nur noch schlafen, aber nach dem Essen geht es dann wieder nicht ins Bett, sondern einen Tee trinken, bei Eiseskälte am Straßenrand.

Als wir dann kurz nach Mitternacht in die Betten, bzw auf die ausgerollten Matratzen fallen, schlafen wir in unserem Sammelquartier trotz eingeschaltetem Licht sofort ein. Das „Guesthouse“ ist kein Hotel, sondern ein Privathaus „extra für Gäste“ und wir wurden ganz selbstverständlich mitgebracht, eingeladen und mit untergebracht und auch zum Frühstück gibt es extra Vegetarisches für die ganze Runde, obwohl die Pakistanis hier alle begeisterte Hühnchen Esser sind.

Viel kommunizieren konnten wir aufgrund einer fehlenden gemeinsamen Sprache zwar nicht, aber Motorradfahrer verstehen sich auf der ganzen Welt, und so verabschieden wir uns nach einem weiteren halben Fahrtag voneinander. Für uns geht es nun nach Belutschisten. Eskorte wir kommen!

 

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